Die hartnäckige Witwe und der Richter
1 Mit einem Gleichnis zeigte Jesus seinen Jüngern, den Männern und Frauen, dass sie immer beten müssen und darin nicht nachlassen dürfen. Er erzählte:
2 »In einer Stadt lebte ein Richter, der nicht nach Gott fragte und alle Menschen verachtete.
3 In der gleichen Stadt lebte auch eine Witwe. Sie kam immer wieder zu ihm gelaufen und bat ihn: ›Verhilf mir zu meinem Recht!‹
4 Lange Zeit wollte der Richter nicht, doch schließlich sagte er sich: ›Es ist mir zwar völlig gleichgültig, was Gott und Menschen von mir halten;
5 aber weil die Frau mir lästig wird, will ich dafür sorgen, dass sie ihr Recht bekommt. Sonst kratzt sie mir noch die Augen aus.‹«
6 Und der Herr fuhr fort: »Habt ihr gehört, was dieser korrupte Richter sagt?
7 Wird dann nicht Gott erst recht seinen Erwählten zu ihrem Recht verhelfen, wenn sie Tag und Nacht zu ihm schreien? Wird er sie etwa lange warten lassen?
8 Ich sage euch: Er wird ihnen sehr schnell ihr Recht verschaffen. Aber wird der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde überhaupt noch Menschen finden, die in Treue auf ihn warten?«.
(Lukas 18,1-8)
Was die Menschen einem alles erzählen …
„Bleib mir doch weg!“ – So mag der Richter gedacht haben in dieser Erzählung. Was bekommt man als Richter nicht alles erzählt im Laufe der Jahre. Kläger, die Vergehen erfinden oder aufbauschen, nur um ihren persönlichen Vorteil zu erlangen. Angeklagte, die keinerlei Einsicht zeigen, alles und jedes entschuldigen und sogar noch zum Gegenangriff übergehen. Die Juristerei lässt einen in die Abgründe der menschlichen Seele blicken; und da ist manches Übel und vieles „stinkt zum Himmel“. Da soll man als Richter noch an das Gute im Menschen glauben? Da soll man noch an einen gerechten Gott glauben? Es mag gar nicht so verwunderlich sein, dass ein Mensch mit solchen Erfahrungen irgendwann zynisch wird. Wenn schon ohnehin keine Chance besteht, die Menschheit ein wenig gerechter zu machen – warum dann nicht auf sich selber schauen, auch auf den kleinen Vorteil hier oder dort? Unmerklich kann daraus tatsächlich Korruption werden.
Nur wer hartnäckig bleibt, kommt zum Ziel …
Auf der anderen Seite steht da diese Frau: Sie steht auf der anderen Seite, der Schattenseite des Lebens. Wahrscheinlich hat sie sich ihr Leben lang abgerackert. Wer weiß, ob sie Kinder hat, die sie hätten auffangen können? Wer weiß, ob sie allein war oder irgendeinen Rückhalt hatte. Eines wissen wir jedoch: Witwen hatten in der damaligen Gesellschaft einen schweren Stand. Sie mussten sehen, wo sie blieben; sie wurden hin und her geschubst, denn eigentlich fielen sie den anderen nur zur Last. Wer solch ein hartes Los in seinem Leben hat, den zeichnet das Leben. Es hinterlässt tiefe Spuren, sehr schmerzhafte Spuren zuweilen. Was Tod heißt, was Trauer heißt, was eine Lebenskrise in ihrer ganzen Tiefe bedeutet – sie weiß es. Und dann wird sie offensichtlich noch von irgendwoher um das ihr verbliebene geringe Recht gebracht. Sie weiß, dass man hartnäckig bleiben muss, wenn man auch nur die kleinen Dinge im Leben erreichen will. „Fokussiert“ nennt man das in der heutigen Zeit. Mit dieser Haltung geht sie zum Richter, immer und immer wieder, bis es ihm zu dumm wird.
Von Männern und Frauen …
Es ist dies auch eine Geschichte von Männern und Frauen. Denn nicht nur in dieser Geschichte stehen die Männer auf der Seite der Macht, die Frauen aber in der Position, um ihr Recht bitten zu müssen. Vor 2.000 Jahren waren diese patriarchalischen Strukturen noch selbstverständlich und völlig unhinterfragt. Und auch heute sind wir weit davon entfernt von einer Chancengerechtigkeit. Frauen findet man wesentlich häufiger dort, wo weniger Macht ist, weniger Image, weniger Einfluss, weniger Geld. In der Pflege, in der Erziehung und der Schule, im weiten Feld von „social care“. Chefärzte, Schulrektoren (außer in der Grundschule), Unternehmensvorstände – das ist „Männersache“. Doch Recht bekommt am Ende die Frau. Insofern ist das Gleichnis Jesu auch eine kleine „Provokation“ gegen die Verhältnisse seiner Zeit.
Gibt es denn noch „Hartnäckigkeit“?
Am Ende des Gleichnisses wird es dann sehr deutlich, worauf Jesus hinauswill. Seine Zuhörer mögen sich noch an der durchaus amüsanten Erzählung erfreut haben, in der ein gestandener Richter am Ende Angst vor einer derben Ohrfeige hat. Sogar das Klischee einer die Augen auskratzenden zornigen Frau wird bedient. Aber am Ende geht es doch um viel mehr. Gibt es denn im Glauben auch solche Hartnäckigkeit und solche Ausdauer, wie es hier von der Witwe erzählt wird? Sind die Jünger, sind WIR in unserem Glauben auch so geduldig? Glaube ist kein 100m-Lauf, sondern ein Marathon – könnte man durchaus ernst gemeint sagen. In den Zeiten der COVID-19-Pandemie wird diese Geduld ja durchaus auf die Probe gestellt. Es ist zermürbend, sich immer wieder aufzuraffen und zu „vertrauen“. Nicht nur das Vertrauen in die Politik fällt zunehmend schwer; auch uns selbst, unseren Gefühlen und unseren Gedanken trauen wir manchmal nicht mehr recht. Und Gott? Wo ist Gott in alledem? Sich einen „lieben Gott“ vorzustellen, fällt gegenwärtig schwer. Sich vertrauensvoll an ihn zu wenden – auch das ist nicht so einfach. Der Zynismus des Richters mag da manches Mal näherliegen: Lasst mir doch einfach meine Ruhe!
Gott ist geduldig und barmherzig
Doch Jesus macht seinen Zuhörern deutlich: Wenn es schon in dieser bisweilen verrückten und hartherzigen Welt einem Richter das Herz erweicht, wie sollte dann Gott nicht erst recht barmherzig sein und unsere Bitten hören? Es ist eine Beharrlichkeit von beiden Seiten her. So wie Gott durch alle Höhen und Tiefen den Menschen begleitet und immer wieder um ihn ringt – bis dahin, dass er seinen Sohn in diese Welt mit all ihrem Leiden hinein sendet – genauso sollte auch die Antwort des Menschen von Geduld und Beharrlichkeit geprägt sein.
Die Verheißung dahinter ist eine feste und tiefe Verbundenheit zwischen Gott und Mensch.
Gebet
Jesus Christus;
Du fragst nach unserer Geduld und danach, ob wir wirklich beständig und nachhaltig an unserem Glauben festhalten und auf Gott warten.
Du weißt, dass das nicht leichtfällt. Du weißt, wie viel uns in diesen schwierigen Zeiten durch den Kopf geht und unsere Gefühle durcheinander bringt. Du weißt von unserer Sehnsucht danach, endlich einmal wieder die Ruhe und die Freiheit genießen zu können und zwanglos unseren Mitmenschen zu begegnen.
Ich bitte Dich:
Stärke meine inneren Kräfte – an Leib und an meiner Seele. Lass nicht zu, dass mein Fokus ständig auf die Pandemie geht und auf all das, was sie an Erregung und an äußerlichem „Lärm“ begleitet.
Begleite Du mich durch den Tag, und richte meinen Blick auf Gott. Denn er hat verheißen, uns zu erhören – nicht erst in irgendeiner fernen Zukunft, sondern hier und jetzt.
Ich bitte Dich:
Sei auch bei jenen, die vielleicht noch mehr an dieser Pandemie leiden als ich selbst: Die Kranken und Sterbenden, aber auch alle, die physisch und psychisch unter den harten Einschränkungen bis hin zur Zerstörung ihrer Existenz zu leiden haben. Und wo es möglich ist, mache mich zu einem kleinen Stern der Hoffnung für sie.
Lass das österliche Licht leuchten – in mir und in und für andere Menschen.
Amen.